Cover 3

Verbrechen und Strafe

Verbrechen und Strafe

Ratings3

Average rating4.2

15

Ein beeindruckendes Werk von hohem, aber nicht zu hohem Niveau was die Lesbarkeit betrifft. Damit ein guter Einstieg in wertvollere Literatur.

Das Werk beeindruckt durch die genaue Beschreibung der psychologischen Struktur verschiedenster Charaktere, auch wenn diese für meinen Geschmack oft überzeichnet waren. Insbesondere der hysterischen Frauen gab es meines Erachtens zu viele. Ob dies jedoch ein realistisches Bild der Zeit ist, bleibt möglich.

Obgleich ich Startschwierigkeiten hatte, wurde ich zunehmend in das Werk hineingezogen. Es hatte immer mal wieder Passagen, die mir schwer fielen. So realistisch die lange Monologe vielleicht die psychische Struktur einer Person darlegen, indem darin etwa deren nervöse Ruhelosigkeit zum Ausdruck kommt, so sehr konnte mich dies auch nerven.

Das Werk ist auch für einen Philosophen äußerst interessant, da Raskolnikow selbst eine sich im Buchverlauf zunehmend entfaltende Philosophie hat, die hinter seinen Handlungen steht. Es geht dabei letztlich um die Frage der Rangordnung zwischen Menschen, also die Frage der Ungleichheit, sowie die Frage nach dem Wert des Menschen. Gibt es wertlose Menschen? Damit verbunden ist die Frage, ob ein Genius außerhalb jeder Moral steht was seinen Weg zur Größe betrifft und damit keine Rechte niedriger Menschen zu beachten hat. Bis zuletzt fühlt Raskolnikow keine Reue hinsichtlich seines Mordes, weil er einfach nicht einsieht, dass wirklich etwas schlechtes in der Ermordung einer gierigen Wucherin liegt. Oft wird hier auch die staatlich legitimierte Gewalt der Kriegsführung dem dagegen viel geringeren Ausmaß an Furchtbarkeit in der Gewalt des Einzelnen entgegengestellt: Warum darf der Staat im Krieg töten und das Verhalten der Soldaten wird heldenhaft genannt. Das töten einer “wertlosen” Wucherin dagegen soll schlecht sein und wird mit vielen Jahren Zuchthaus bestraft.

Was letztlich das Motiv von Raskolnikow war, wird nie ganz eindeutig geklärt. Er beichtet die Tat Sonja auf verschiedenste Weise und lügt dabei teilweise, um ihr gegenüber ein Motiv zu betonen, das diese am ehesten verstehen kann. Ich bin jedoch überzeugt, dass die amoralische Philosophie des menschlichen Genius das entscheidende bleibt. Außerdem war der Mord an der “Alten” nicht schon Teil des “napoleonischen” Werdegangs, sondern schlicht die Selbstprobe der eigenen Stärke Raskolnikows. Hiermit wollte er im Experiment testen, ob er ein höherer Mensch ist, der konsequent töten kann, ohne daran zugrunde zu gehen. Am schlechten Gewissen zu leiden ist hier vollkommen negativ konnotiert: Wenn man nicht zum Töten fähig ist, zeugt das von der eigenen Jämmerlichkeit. Er wollte also einfach nur töten üben. Weil dies einzugestehen jedoch so schwierig ist, mischt er dennoch regelmäßig andere Motive dazu, als Rechtfertigung vor sich selbst und anderen: darunter die “Krankheit”, die “soziale Lage” und den “Diebstahl”. Das es nicht um den Schmuck und das Geld ging ist schon dadurch eindeutig, dass er sich das Diebesgut nie genauer angeschaut hat und sich auch nie weiter darum gekümmert hat. Geld ist für den in philosophischen, moralischen und psychologischen Kämpfen verwickelten Raskolnikow nun wirklich nebensächlich.

Das Ende war gleichsam schön, wie enttäuschend. Das schlussendliche Aufblühen des Raskolnikow war ja gewissermaßen ein “Happy End”, was natürlich irgendwie “schön” ist. Es muss aber meinem derzeitigen Lebenswandel und dem Bann Nietzsches geschuldet sein, dass mir ein tragischeres Ende noch besser gefallen hätte, vielleicht auch eines “jenseits von Gut und Böse”. Dies schien sich fast noch anzudeuten, als Raskolnikow selbst in Haft das Verbrechen noch als nichts mehr als etwas Juristisches sah. Hier war also weiterhin kein moralisches Moment der Schuld dabei. Hier hätte auch ein Übermensch jenseits der Moral geboren werden können, der schlussendlich seine Schwäche besiegt. Der Nietzsche in mir hätte sich darüber gefreut. Stattdessen wurde wohl ein Christ geboren, wie sich stark vermuten lässt (die Rede von der “Wiedergeburt”, sein Wunsch nach der Bibel, seine Annäherung an Sonja, die “Heilung durch Liebe”, sein “Streben”). Auch ok.

November 20, 2018Report this review