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Unglaubliches Tagebuch. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Einen Menschen so persönlich kennenzulernen. Man kann nicht verhindern, sein Herz zu erwärmen für die kleine Anne. Vermutlich auf verschiedene Weise, je nachdem, welches Alter man hat: Ein gleichaltriges Kind wird sie als “Freundin” empfinden können oder sich in sie “verknallen”.. Als erwachsener Mann empfinde ich eher brüderliche oder väterliche Gefühle für diesen Menschen.
Ich erwischte mich bei Tagträumen und Vorstellungen, bei denen dieses Mädchen irgendwie gerettet wird.. Es ist peinlich und anmaßend zugleich.. doch so stellte ich mir auch vor, wie ich sie unterstütze in ihrer Krankheit und ihrem Leiden später im KZ. All diese Fantasien, weil es mein Herzenswunsch geworden ist im Laufe der Lektüre, dass dieses Mädchen überlebt hätte. Sie wäre eine wunderbare Autorin geworden, so stelle ich es mir vor.. eine beeindruckende Intellektuelle.
Diese meine Fantasien illustrieren vermutlich, wie nah einem dieses Buch gehen kann. Das Ganze hat damit natürlich auch eine historisch-politische Komponente. Hier wurde eine ganz eigene Art von “Gegenbeweis” erzeugt gegen das NS-Regime. Die Falschheit der Sache erscheint einem hier unmittelbar evident: Einem Menschen wie Anne den Wert aberkennen erscheint als unmittelbar und intuitiv gefühlt falsch. Während die Fähigkeit einer Menschengruppe den Wert abzuerkennen insbesondere dann fruchtet, wenn man sie nur anonym fasst, so bewirkt dieses Buch eben gerade das Gegenteil: Das ganz persönliche Beispiel verwehrt jeden Irrweg in eine solche Abwertung, da man sich in der Unmöglichkeit findet, das Leben einer “Anne” abzuwerten. Hier wird also ein wichtiges Gegenmittel gegen den Irrweg einer Ideologie an die Hand gegeben. Gleichwohl ein Gegenmittel des “Herzens”, das alleine nicht ausreicht. Die Aufarbeitung muss verschiedenste Wege haben und alle Aspekte des Menschen ansprechen.